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Rechts, links oder geradeaus?

  • Autorenbild: Sheila
    Sheila
  • vor 1 Tag
  • 4 Min. Lesezeit
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Gestern, während einer langen Biketour, sah ich in der Ferne eine Weggabelung. Zwei Wege, einer nach rechts, einer nach links. Und sofort begann mein Kopf zu überlegen, welchen Weg ich wohl nehmen soll. Ich entschied mich dazu, spontan zu sein und fuhr einfach weiter, ohne zu planen. Und als ich die Gabelung erreichte, wusste ich intuitiv, wohin ich wollte. Mir wurde wiedermal bewusst, dass es doch genau darum geht im Leben. Zu vertrauen, dass wir im richtigen Moment wissen, was zu tun ist.


Immer wieder stehen wir im Leben an solchen Weggabelungen. Wir überlegen, ob wir nach rechts oder links gehen sollen, wägen ab, was richtig ist, und hoffen, die beste Entscheidung zu treffen. Doch was, wenn keiner der Wege sich stimmig anfühlt? Warum nicht einfach die Schuhe schnüren und geradeaus gehen?


Ich erinnere mich gut an einen Moment, in dem ich genau das erlebte. Als wissbegieriger Mensch habe ich mir oft Weiterbildungen angeschaut. Irgendwann fand ich zwei Angebote, die mich besonders faszinierten. Beide klangen wunderbar, aber beide kosteten viel Geld. Also beschloss ich, den Anbieter persönlich zu treffen, um herauszufinden, welcher Weg der richtige für mich war.

Er empfing mich herzlich und schlug mir eine Meditation vor, um die Antwort zu finden. In dieser Meditation kam ich an eine Wegkreuzung, zwei Wege, einer nach rechts, einer nach links. Ich sollte jenen wählen, der sich besser anfühlte. Doch es fühlte sich einfach keiner davon richtig an. Also sagte ich ihm im Anschluss, dass ich keinen Weg gewählt habe. Ich würde meine Schuhe schnüren, geradeaus gehen und meinen eigenen Weg machen. Die Begegnung war danach schnell vorbei. Und so machte ich mich auf den Heimweg, nicht etwa enttäuscht, sondern mit einer tiefen Klarheit im Herzen.


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Manchmal ruft uns das Leben nicht nach rechts oder links. Es ruft uns in die Mitte, dorthin, wo kein Weg ausgeschildert ist und wir unserem eigenen Kompass folgen dürfen. Geradeaus zu gehen heisst, dem eigenen Herzen zu folgen, auch dann, wenn aussen alles unklar scheint. Es bedeutet, Vertrauen zu haben, dass unser Inneres weiss, wohin es will, auch wenn der Verstand noch keine Landkarte hat.

Dafür braucht es Mut. Mut, sich nicht von äusseren Wegen verführen zu lassen. Mut, die Blicke der anderen auszuhalten, die deine Entscheidungen nicht nachvollziehen und verstehen können. Und es braucht Klarheit. Diese kommt aus der Tiefe und aus dem Wissen, dass es richtig ist, auch wenn es noch niemand vor uns getan hat.


Ich habe lange geglaubt, ich müsse es allen recht machen. Ich wollte niemanden enttäuschen, wollte helfen, tragen, stützen und ausgleichen. Ich habe Rucksäcke anderer Menschen auf meine Schultern genommen, aus Liebe, aus Mitgefühl und manchmal vielleicht auch aus Angst, nicht genug zu sein, wenn ich es nicht tue. Doch dabei habe ich oft meinen eigenen Weg aus dem Blick verloren. Ich dachte, später komme ich dran. Wenn alles geregelt ist, wenn die anderen versorgt sind, wenn niemand mehr etwas braucht, dann kann ich mich um mich kümmern. Meistens war ich dann, wenn alles getan war, zu müde, um mir Gutes zu tun.


Ich nehme Rücksicht auf die Menschen, die mir nahe sind, bin respektvoll, achtsam und unterstütze sie. Sie können sich zu 100% auf mich verlassen. Gleichzeitig darf ich mir selbst treu bleiben. Ich muss nicht jedem gefallen und ich muss nicht verstanden werden, um im Reinen zu sein. Ich darf auch darauf vertrauen, dass andere Menschen ihre eigenen Wege finden und ihre eigenen Schritte gehen, so, wie ich meine gehe. Denn letztlich ist das Leben selbst eine Einladung, immer wieder geradeaus zu gehen, zu vertrauen und Schritt für Schritt unseren eigenen Pfad zu erschaffen.

Es ist nicht egoistisch, wenn man aufhört, alles für alle zu tragen. Es ist ein Akt der Achtung, vor sich selbst und vor den anderen. Denn in Wahrheit nimmt man niemandem die Last ab, wenn man sie sich selbst auflegt. Man raubt damit eher die Möglichkeit, dass jeder seine eigene Stärke entdeckt. Selbstverantwortung beginnt dort, wo wir erkennen, dass ich für mein Leben selbst zuständig bin, so wie du für deins. Ich gehe meinen Weg, und du darfst deinen gehen. Wir können uns begleiten, aber wir müssen uns nicht tragen.


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Am Ende geht es vielleicht gar nicht darum, den perfekten Weg zu wählen, sondern darum, im Vertrauen zu bleiben, dass jeder Schritt uns weiterbringt, auch dann, wenn wir noch nicht wissen, wohin. Das Leben führt uns nicht immer auf sicheren, gepflasterten Wegen. Manchmal führt es uns mitten durchs Unbekannte, manchmal sehen wir nur Nebel.

Geradeaus zu gehen heisst auch, Verantwortung für das eigene Leben, die eigenen Träume und die eigene Wahrheit zu übernehmen. Es heisst, bei sich zu bleiben, auch wenn andere es nicht verstehen. Und es heisst, anderen zuzutrauen, dass sie ihren Weg ebenso finden werden. Denn wahre Freiheit entsteht nicht, wenn wir allen alles recht machen, sondern wenn wir authentisch unseren eigenen Weg gehen, Schritt für Schritt und mit offenem Herzen.


Und irgendwann erkennen wir, dass der schönste Weg derjenige ist, den es vorher noch nicht gab, bis wir ihn gegangen sind.


2 Kommentare


Gast
vor 14 Stunden

So schön geschrieben! Bin gerade in der Position „so kann es nicht weitergehen“. Entweder fühlt es sich an, als wäre ich in einer Sackgasse gelandet aus der ich noch keinen Ausweg erkenne oder ich bewege mich im Kreis - vielleicht auch etwas von beidem. Momentan ist es schwierig auszuhalten. Aber ich vertraue darauf, dass sich im richtigen Moment der Weg zeigen wird. Ich kann ihn noch nicht ganz fühlen… aber ich bleibe zuversichtlich.

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Gast
vor 20 Stunden

Wie wahr. So schön geschrieben. Nicht immer einfach in der umsetzung, jedoch sehr wertvoll.

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