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Der Holunder und ich



Lieber Holunder

Du bist die Heilpflanze des Jahres 2024. Über keine andere Pflanze gibt es so viele Sagen und Mythen, wie über dich. Der Erdgöttin, die wir auch unter den Namen Hulda, Holda oder Frau Holle kennen, bist du geweiht. In dir soll das Tor zur «Unterwelt» sein.

 

Ja, das kennen wir doch aus dem Märchen Frau Holle. Wie sehr liebte ich dieses Märchen in meiner Kindheit. So oft habe ich mir vorgestellt, wie ich einen solchen Brunnen finden und hineinspringen würde. Wie oft malte ich mir aus, wie ich dann auf dieser wunderschönen Wiese in der «Anderswelt» aufwachen würde, die Äpfel vom Baum schütteln und das Brot aus dem Ofen nehmen könnte. Und dann, dann könnte ich helfen, die Betten zu schütteln, damit auf der Erde viele Schneeflocken tanzen würden. Liebe ich deshalb so sehr den Schnee? Könnte ich deshalb stundenlang dem Schneetreiben zusehen und mir ausmalen, wie Frau Holle die Decken und Kissen schüttelt?

 

Als ich vor über drei Jahren in mein neues Heim gezogen bin, standest du im Hühnergehege. Ich schenkte dir noch keine grosse Beachtung. Und dann, plötzlich, wuchsen an unterschiedlichen Orten auf dem Grundstück weitere Holunderbüsche. Einer aber hat es mir besonders angetan. Direkt am Haus, unmittelbar neben einem Fenster vor der sonnenverbrannten Holzwand des Hauses, hast du ganz zart deine ersten Triebe aus dem Kies gestreckt. Immer wieder hat mein Partner gesagt, man könne dich da nicht lassen. Und jedes Mal habe ich gesagt, es hätte einen Grund, warum du genau da wachsen würdest. Damals wussten wir noch nicht, dass wir im 2024 das Haus umbauen werden und welche Bedeutung du dabei haben würdest.

 

Du bist also vor drei Jahren mit mir zusammen an diesen wunderbaren Kraftort gezogen. Ich ins Haus, du so nah ans Haus, so dass man sagen muss, näher geht nicht. Immer, wenn ich am Regenwassertank bei dir meine Giesskannen fülle, plaudern wir zusammen. Zu einer Zeit, als ich mich noch nicht so tief mit den Pflanzen auseinandergesetzt habe, sagte mir jemand, der Holunder sei mein Verbündeter. Nicht einfach ein Begleiter. Nein, da sei viel mehr zwischen uns. Ja, da hat er wohl recht gehabt, denn genau so fühlt es sich auch an.


Nun sind wir am Hausumbau. Unser Schlafzimmer kommt da hin, wo du draussen neben dem Fenster stehst. Für das Regenwasser wurde an der gesamten Hauslänge ein Graben geöffnet. Mein Partner hat mir am Vorabend gesagt, ich solle mich noch von dir verabschieden. Also kam ich zu dir. Ich schaute dich an und wusste plötzlich, dass wir uns nicht voneinander verabschieden müssten. Es würde alles gut kommen.

Am nächsten Tag fuhr der Handwerker mit seinem Bagger auf. Im vollen Vertrauen, dass es einfach gutkommen würde, sagte ich nichts zu ihm. Der Regenwassertank wurde weggeführt und du standest «nackt» da. Ich ging meiner eigenen Arbeit nach, machen konnte ich nichts, ausser zu vertrauen.

Abends schaute ich mir die Baustelle an. Ein riesiger Graben der ganzen Hauslänge entlang und mittendrin… da standest du. Völlig ungeschützt, aber stolz und aufrichtig. Ich bin sicher, wenn du lächeln könntest, dann hättest du es getan.

Ich bedankte mich bei dem Handwerker, sagte ihm, wie schön ich es fände, dass er dich hat stehen lassen. Und er sagte nur, er hätte es nicht übers Herz gebracht, «diesen schönen Strauch, was immer es sei, achtlos auszugraben und auf den Haufen zu werfen». Allerdings wies er mich daraufhin, dass er sehr nah an den Wurzeln gegraben hätte und nicht garantieren könne, dass «der Strauch» überleben würde. Inzwischen sind die Regenwasserleitungen im Boden, der Graben ist wieder zugeschüttet worden und du hast rund um dich wieder Boden. Schön siehst du aus, die Graberei hat dir nichts angetan, hast viele Blütendolden gemacht, welche bald blühen werden.

 

Und so werden mein Partner und ich im Verlaufe dieses Sommers unser Schlafzimmer umziehen. Wenn ich mich dann im Bett aufrichten werde, werde ich dich sehen. Denn du stehst seitlich vom Fenster, genau im richtigen Winkel zu mir. Wie freu ich mich darauf, meine Plauderminuten mit dir bereits beim Aufstehen zu haben.

 

Danke dir, du wunderbarer Holunder, du Verbündeter und Wegbegleiter. Wir werden weiterhin gemeinsam unseren Weg gehen und darauf freue ich mich.


 

Man sagt, der Holunder sucht die Nähe des Menschen und wächst gerne im Schutze von Häusern und Scheunen. Eine Legende besagt, dass das Fällen eines Holunders Unglück oder den Tod ins Haus holen würde. Und noch bis heute wird gesagt, dass man den Strauch besser um Verzeihung bitten solle, wenn man seine Äste abbricht.

Vor dem Haus wachsend gilt der Schwarze Holunder als ein Symbol des Lebens. Wird ein Haus verlassen, an dem der Holunder wächst, so verkümmert er. Verdorrt ein Holunderbusch, zeigt er den Tod eines Familienmitglieds an.


Der Holunder zeigt uns auch an, wo Wasseradern sind. Es ist nämlich sein Lieblingsplatz. Er breitet sich gerne da aus, wo direkt unter ihm Wasseradern sind.


Übrigens sagt man, dass da, wo der Holunder wächst, Gold vergraben ist. Wer weiss, ob der Handwerker Gold gefunden hat. Vielleicht hat er welches gefunden und den Holunder deshalb stehen lassen? Gesagt hat er nichts. :-)


Alles rund um den Holunder - Sagen und Mythen, meine Erlebnisse mit ihm und seine Wirkung beim Räuchern kannst du im folgenden Blogbeitrag lesen:

 

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