
Der Spruch «Schönheit liegt im Auge des Betrachters» hat mich als Fotografin über Jahre hinweg begleitet. Denn jeder definiert für sich selbst, was er als schön empfindet. Und das ist auch gut so. Und ich kann dir als Fotografin sagen, jeder Mensch trägt eine Schönheit in sich.
Und doch gibt es immer noch Schönheitsideale, die uns von den Medien eingeredet werden. Als ideal gilt immer das, was man nicht so einfach haben kann. Leidet die Gesellschaft Hunger, ist es erstrebenswert, einen fülligen Körper zu haben. Lebt die Gesellschaft im Überfluss, wo immer alles ständig erreichbar ist, ist ein schlanker, straffer, durchtrainierter Körper das Ziel. Denn dieser Mensch zeigt Disziplin.

Beim letzten Kurs bei mir im Kräuteratelier fragten zwei Frauen, ob sie durch meinen Garten gehen dürfen. Ich werde nie die sein, die den Garten für alle öffnet oder gar Führungen macht. Da ich die eine der zwei Frauen schon länger kenne und ich auch schon mit ihr im Garten war, war das für mich kein Problem. Ich warnte sie vor, dass der Garten im Moment nicht so schön aussehen würde. Und wie ich diesen Satz sagte, kam ein Gefühl. Ich konnte dieses nicht gleich fassen, waren doch noch sechs weitere Frauen da, die mit mir plaudern wollten oder Fragen hatten. Also liess ich es dabei und freute mich auf die Erntezeit, die ich mir für den Nachmittag vorgenommen habe.
Kaum stand ich nachmittags im Garten, zauberte die Sonne alles in ein goldenes Herbstlicht. Als Fotografin liebe ich dieses Gegenlicht. Ich sass mitten hinein und fühlte Demut und ehrlich gesagt... fühlte ich Scham. Wie kann ich den Garten verurteilen? Er beschenkt mich reich, ich darf darin werken und ernten, mit den Pflanzen kommunizieren, mich über die Blüten und Insekten freuen und verbringe Stunden darin, die mich einfach glücklich machen. Er lehrt mich definitiv Demut und doch habe ich ihn verurteilt bzw. bewertet. Der Garten, bzw. die Natur zeigt uns aber immer wieder etwas, mit dem viele von uns hadern: die Vergänglichkeit. Ja klar, die Natur hat das Glück, im Frühling wieder neu zu beginnen, während sich bei uns die vier Jahreszeiten durchs ganze Leben ziehen und nicht nur durch ein Jahr.

Heute, 17. Oktober 2024, ist Vollmond und ich verbrachte den Nachmittag erneut im Garten. Ich habe die Wurzeln vom Alant ausgegraben sowie Blüten und Samen geerntet. Und wieder stand ich inmitten dieses Zauberlichts und ich konnte nicht anders, als die Kamera zu holen und das Vergängliche zu fotografieren. Während ich durch den Kamerasucher schaute, fand ich aber überall, im ganzen Garten, blühende Pflanzen vor. Ringelblumen, Wilde Malve, Dost, Salbei, Johanniskraut, Hibiskus, Rosen und viele mehr blühen noch immer um die Wette. Und überall sind auch dörre Blütenstände, die mir ihre Samen und Käpselchen schenken. Mir kam der Spruch in den Sinn «Eine Blume macht sich keinen Gedanken, ob sie mit der Blume neben ihr mithalten kann. Sie blüht einfach».
Und wir Menschen? Wir vergleichen uns miteinander, rennen Schönheitsidealen hinterher und möchten "dazugehören". Aber zu was eigentlich?
Ich hatte ein Fotostudio zu einer Zeit, als nur wenige Fotografinnen ein Studio hatten. Und so kamen aus der ganzen Schweiz Frauen für Aktbilder zu mir. Ich war da oftmals nicht nur Fotografin, sondern auch Psychologin. Glaubt mir, die Menschen, die laut Schönheitsideal makellos waren, hatten die grössten Probleme mit sich. Zufrieden ist nicht, wer makellos ist. Zufrieden ist der, der sich schön findet, egal, was die Welt als schön definiert.
Ich werde nächstes Jahr fünfzig. Mit der Natur verglichen bin ich dann... hmhm, im Spätsommer bzw. im frühen Herbst? Ich fühle mich aber eher wie mitten im Sommer, Hitzewallungen sei Dank. Ich habe graue Haare, eine Haut, die nicht mehr so elastisch ist, die Schwerekraft am Körper grüsst allgemein und der Wechseljahrebauch zeigt auch immer mal wieder, dass er gerne wächst. Meine Augen schreien nach einer Gleitsichtbrille und ja, ich haddere das eine und andere Mal mit meinem Gewicht. Aber ich habe drei wunderbare, erwachsene Kinder. Ich habe, rein beruflich gesehen, enorm viel erreicht und ich habe zum richtigen Zeitpunkt die (berufliche) Notbremse gezogen und mich vertrauensvoll dem Fluss des Lebens hingegeben. ICH BIN. Ich habe. Und vor allem: ich darf.
Zu lernen, sich zu akzeptieren, wie man ist, braucht Übung. Körperliche Schönheit hat sehr viel damit zu tun, sich mit den Augen anderer zu sehen. Man muss sich gar nicht schön finden. Es geht im Leben nicht darum, sich zu quälen, weil man nicht die Figur hat, von der die Medien einem sagen, dass man sie haben müsste. Es reicht schon, freundlich mit sich zu sprechen und nett zu sich selbst zu sein.
Alles ist vergänglich und doch hat es damit zu tun, dass wir lernen, zu aktzeptieren. Ist denn nun Schönheit vergänglich? Nein, definitiv nicht. Ich sage: «Schön ist die Vergänglichkeit». Einmal mehr hat mich die Natur und mein Garten an etwas erinnert - an Demut, Dankbarkeit und meine eigene Version von Schönheit.

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